Rekordverdächtiges in Weil der Stadt
In unserer Serie „Rekordverdächtig“ stellen wir Orte in der Region Stuttgart vor, die auf besondere Weise herausragend sind. Heute: In Weil der Stadt kann man durch Teleskopeauf Planeten und Sterne blicken.
Sophia Herzog
Wenn die Kepler-Sternwarte in Weil der Stadt zum Spaziergang über den Mond lädt, muss niemand in einen Raumanzug schlüpfen und in Richtung Weltall fliegen. Es reicht ein Blick durch das Teleskop. Ganz nah dran ist man dann an der Oberfläche des Mondes, sieht mit bloßem Auge die Krater und ihre Schatten, kann den Blick langsam über Gebirge und dunkle Tiefebenen schweifen lassen.Einen Schritt weiter nach links, und die Reise geht zur Sonne: Durch ein Sonnenteleskop mit speziellem Filter lässt sich die granulare Oberfläche des Sterns beobachten, die immer in Bewegung ist. „Wie Marmelade im Kochtopf“ , erklärt Jürgen Gunter. Er ist an der Kepler- Sternwarte für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Für ihn ist die Astronomie eine Leidenschaft fernab vom Beruf, ebenso wie für seinen Kollegen, Sternwartenleiter Gottfried Reimann. In beiden schlummert jahrelang angelesenes Wissen rund um Planeten, Sternen und Galaxien. Beide sind schon viele Jahre Teil des Sternwarten-Teams. Langweilig wird ihnen dabei nicht. „Alles aus dem wir bestehen, war irgendwann mal ein Stern“ , ergänzt Gunter. „Wie alles miteinander zusammenhängt, das fasziniert mich.“
Teleskope reichen drei Milliarde Lichtjahre in die Ferne
Amateurastronomen wie Reimann und Gunter gibt es in Baden-Württemberg so einige, sie schauen mit mobilen Teleskopen in den Himmel – oder eben mit dem stationären Teleskop einer richtigen Sternwarte, Kuppel inklusive. Von der Weiler Sternwarte lässt sich der Mond gut betrachten, das Licht braucht knapp 1,3 Sekunden von dort bis zur Erde. Aber es geht auch viel weiter: „Die weiteste Entfernung, die wir fotografiert haben, das waren etwas über drei Milliarden Lichtjahre“ , berichtet Gottfried Reimann.
Drei Teleskope gibt es in der Kepler-Sternwarte. Eins für Sonnenbeobachtungen, ein sogenanntes Refraktor-Teleskop mit geschliffenen Linsen, und das größte, das Reflektorteleskop, in dem das Licht zwischen mehreren Spiegeln hin und her geworfen wird. Auf dem Dach der Sternwarte befindet sich außerdem eine sogenannte All-Sky-Kamera. Sie beobachtet alle 360 Grad des Himmels, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Passiert etwas Interessantes, lassen sich die Aufzeichnungen später per Software herausschneiden. Viele astronomische Entdeckungen, so berichtet es Jürgen Gunter, würden zunächst in Amateurstationen gemacht werden. „Es schaut immer irgendwer irgendwo in den Himmel“ , sagt Gunter. Bei den großen professionellen Teleskopen, wie es sie in Chile oder Hawaii gibt, seien die Zeit für wissenschaftliche Beobachten stattdessen eng getaktet und teuer. „Da schaut man nicht mal einfach, was man so findet.“
In der Sternwarte wird fotografiert und referiert
Wer schaut, das sind die Amateur-Astronomen. Rund 20 Mitglieder hat der Verein der Kepler- Sternwarte, zwei Drittel von ihnen aktive. „Von jedem Wissensstand ist etwas dabei“ , sagt Reimann. „Wer hier mitmachen will, muss kein Ingenieur sein.“ Einer etwa sei Experte für die All- Sky-Kamera, ein anderer besonders gut in Sachen Astrofotografie, so der Sternwartenleiter. Bilder und Beobachtungen teilen die Ehrenamtlichen auf der Homepage der Sternwarte – mit Erfolg. Mittlerweile hätte die Seite 400 oder 500 Aufrufe am Tag, sagt Gunter.
Was in der Sternwarte passiert, das wollen Gunter und Reimann nach außen tragen und mit anderen teilen. „Wir versuchen schon, der Öffentlichkeit wirklich geöffnet zu sein“ , sagt Gunter. Besonders wichtig, so sagt es der Sternwartenleiter Reimann, sei es, die Informationen über Astronomie auch so zu vermitteln, dass die Menschen damit etwas anfangen können. Immer freitags gibt es deshalb eine Sternenführung in der Sternwarte, abseits davon auch immer wieder Sonderveranstaltungen und Vorträge. Wenn dann jemand durch das Teleskop blickt, erlebe man immer wieder ein richtiges Aha-Erlebnis bei den Menschen, berichtet Reimann. „Hier sieht man Astronomie mit eigenem Auge“ , sagt er begeistert. „Man kann das live miterleben.“ Etwa bei einer Beobachtung des Jupiters. Dessen Monde bewegen sich recht zügig, werfen Schatten. „Die haben in vier Stunden schon einen langen Weg zurückgelegt“ , so Reimann. „Da sieht man live die Veränderungen.“
Ganz im Geiste Keplers
Nicht nur moderne Technik, wie jene, die in der Sternwarte mit rund 100 Kilogramm Gegengewicht fest auf einer tragenden Wand verankert ist, kommt dabei zum Einsatz. Auch das Mobiltelefon nutzen Reimann und Gunter dazu, um besonders junge Menschen für die Astronomie zu begeistern. Verschiedene Handyapps können den Nutzern genau sagen, welche Sternbilder, Planeten oder Nebel gerade am Himmel zu sehen sind. Das motiviert: Einfach mal nach oben schauen lohnt sich, auch ohne Teleskop.
Das braucht es nämlich nicht immer, um sich mit dem Weltall zu beschäfftigen. Alle zwei Jahre verleiht die Weiler Kepler-Gesellschafft den Kepler-Preis, der explizit nicht nur an naturwissenschafftliche Schulprojekte geht, die sich mit dem Namensgeber und dem berühmten Sohn von Weil der Stadt, Johannes Kepler, beschäftigen. Würde Kepler noch leben, dann wäre die Mission der Kepler-Sternwarte, also das Teilen und Fördern von Wissen, auch in seinem Sinne: Der Begründer der Astronomie sei sehr offen gewesen, viel gereist. „Der erste Europäer“ , sagt Gunter. Sein Esprit lebt weiter, auch in „seiner“ Sternwarte. „Wir wollen auch das Ansinnen von Kepler weitertragen.“
Höher, größer, schneller – in unserer Serie „Rekordverdächtig“ stellen wir Orte in der Region Stuttgart vor, die auf besondere Weise herausragend sind.